Sonntag, 14. Juni 2015

"Wann kommt Jesus wieder?" - Christliche Endzeit-Theologien im Wandel der Zeiten

Als ich mich mit der apokalyptischen Gedankenwelt des Christlichen Zionismus beschäftigte, fiel es mir nicht leicht, einen halbwegs überschaubaren Überblick zu dieser Thematik zu vermitteln. Querverweise und ‘lose Enden’ blieben übrig; doch ihre Erörterung hätte den Rahmen eines Blogartikels vollends gesprengt.

 Freilich erachte ich die Kenntnis verbreiteter Endzeit-Theologien für wichtig, wenn man auch nur ansatzweise die US-Außenpolitik seit dem Ende des Kalten Krieges verstehen will. Deren Motive beschränken sich keineswegs auf die Sicherung von Bodenressourcen wie Öl, Erdgas sowie der zugehörige Infrastruktur und Transportwege – vielmehr verfolgen viele nordamerikanische Politiker zugleich ‘höhere Ziele’. Insbesondere die Regierungszeit von George W. Bush jun., seit 1986 als Wiedergeborener Christ (→Erweckungsbewegung), verstörende Parallelen zu einem Glaubenskrieg auf.
Als Leitfaden diente mir hierzu eine Abhandlung von Horst Koch, → “Endzeitlehren im Wandel der Zeit“.
Der Terminus “Endzeit” in christlich-fundamentalistischen Lehraussagen meint nicht den unmittelbar bevorstehenden ‘Weltuntergang’, sondern bezieht sich auf eine Zeitperiode, in welcher der Messias kommen und als ‘König der Könige’ die Erde regieren soll.


“Wann kommt Jesus wieder?”

Christliche Eschatologie (=’Lehre von den letzten Dingen’) befasst sich mit der Hoffnung auf Vollendung des Einzelnen (individuelle E.) und der gesamten Schöpfung (universale E.). Daraus ergeben sich für (alle) Christen konkrete Fragestellungen:
“Wann kommt Jesus wieder? Wann beginnt das Millennium (das tausendjährige Reich)? Wann beginnt das Gottesreich? Wann werden wir entrückt? Wann schafft Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde?”
Koch nennt vier Endzeit-Systeme (A-D), die sich im Lauf der Geschichte
herausgebildet haben. Sie unterscheiden sich vor allem darin, wie sie das Millennium, das Wiederkommen Jesu und den Neuanfang ordnen.


System A: Historischer Prämillennialismus

Bei dieser Sichtweise innerhalb der frühchristlichen Kirche wurde die Wiederkunft Jesu vor dem 1000-jährigen Reich erwartet. Die Ereignisfolge: Menschwerdung Jesu  Wiederkunft Jesu  Millennium  neue Erde.
 
Die prämillenaristische Sicht des Tausendjährigen Reiches
Für die Zeitspanne von der Himmelfahrt Jesu bis zu seiner Wiederkehr war der Missionsbefehl bindend. Die christliche Kirche formierte sich und das Evangelium wurde
tatkräftig in die Welt getragen – angesichts der Erwartung, Christus werde sehr bald wiederkommen (manche Jünger erwarteten ihn noch zu ihren Lebzeiten) und sein Reich auch politisch in dieser Welt aufrichten.

System B: Amillennialismus

Hier geht man davon aus, dass es kein 1000-jähriges Reich geben wird. Man versteht das Millennium symbolisch und wendet es auf die Ära der Gemeinde an.
Die Geschehnisse werden so geordnet:
Menschwerdung Jesu 
 Ära der Gemeinde → Wiederkunft Jesu → neue Erde.



Die amillenaristische Sicht des Tausendjährigen Reiches

Da es sich um die Herrschaft Gottes durch seine Vertreter auf Erden handelt und der Satan in dieser Zeit gebunden ist, müsste diese Herrschaft auch großes Wohlergehen unter den Menschen zur Folge haben. Diese Darstellung bietet viel Raum für die verantwortungsvolle Gestaltung unserer Zeit – anstelle “wilder Endzeitspekulationen”. Der Amillennialismus gewann seit Augustinus (4.Jh.) an Bedeutung löste den Prämillennialismus  als gängige Sichtweise ab.

System C: Postmillennialismus

Hier wird erwartet, dass Jesus nach dem 1000-jährigen Reich wiederkehrt:
Menschwerdung Jesu 
 Millennium  Wiederkunft Jesu - neue Erde.
In diesem Sinne geht der Postmillennialismus von der weltweiten Verbreitung des
Evangeliums und „Errichtung“ des Reiches Gottes in der jetzigen Phase aus, was zu einer weitgehend christianisierten und friedlichen Welt des Wohlstandes führen werde. Die dann folgende Wiederkunft Jesu markiert den Beginn des neuen Zeitalters.



Postmillenaristische Sicht des Tausendjährigen Reiches
Die postmillenaristische Sicht des Tausendjährigen Reiches

Mit unseren fast 2000 Jahren Kirchengeschichte ist die Zeitspanne eines Millenniums bereits überschritten und es müsste bei dieser Sichtweise davon ausgegangen werden, dass irgendwann in der Zukunft noch ein zweckbestimmtes Jahrtausend beginnen und Jesus an dessen Ende wiederkommen wird.
Der Postmillennialismus hält im Unterschied zu (B) am Zeitraum von exakt 1000 Jahren fest.
“Während (A) den Missionseifer als zentralen Antrieb hervorruft, spornen (B) und (C) darüber hinaus zu einem bewussten Engagement in unserer Welt für unsere Welt an.” (Koch)

System D: Dispensationalistischer Prämillennialismus, kurz Dispensationalismus

Nach der Reformation tauchte der Prämillennialismus (A) wieder auf diente als Nährboden für den Dispensationalismus.
Ereignisfolge: Menschwerdung Jesu 
 Wiederkunft Jesu - Millennium  neue Erde.

Ein Grundgedanke des Dispensationalismus ist, dass Gott in den verschiedenen Phasen (‘Heilszeiten’) seiner Geschichte mit der Menschheit auf unterschiedliche Weise waltet.
C.I. Scofield (1843-1921) meinte, dass sich diese Phasen in der Heiligen Schrift aus der Veränderung in Gottes Umgang mit der Menschheit unwiderlegbar ergeben. Diese 7 Zeitalter
[analog zu den sieben Schöpfungstagen im 1.Buch Mose (?)] werden als die verschiedenen Bünde Gottes mit den Menschen beschrieben:

  1. Unschuld: das Zeitalter des Bundes Gottes mit Adam bis zum Sündenfall,
  2. Gewissen: der Bund Gottes mit nach der Vertreibung bis zur Sintflut
  3. Verwaltung unter Verantwortung des Menschen”: der Bund Noahs bis zum Turmbau zu Babel
  4. Verheißung: der Bund mit Abraham und dem Volk Israel bis zur Versklavung in Ägypten,
  5. Unter dem Gesetz Mose: der Bund mit Moses bis zum Tod Jesu,
  6. Zeitalter der Gnade durch die erlösende Tat Christi bis zu seiner Wiederkehr,
  7. Millennium: das Errichten des Tausendjährigen Friedensreiches in Jerusalem.
Die futuristische Auslegung der Offenbarung des Johannes geht davon aus, dass die meisten in diesem Buch beschriebenen Ereignisse sich erst noch ereignen werden – während der sieben Jahre der großen Trübsal.
Praktisch, dass als weiteres Element die Vor-Entrückung hinzukommt: Danach werden sowohl zu dieser Zeit lebenden Gläubigen Christen “von dieser Erde weggenommen”, als auch die bereits verstorbenen Gläubigen.
Sie werden zuerst aus Ihren Gräbern auferstehen, um dann gemeinsam mit den lebenden Gläubigen in die Wolken Richtung Himmel zu schweben, Christus entgegen.”
Bevor also die ‘große Trübsal’ losbricht – die Zerstörung der Welt in einem alles zerstörenden Krieg, einhergehend mit Naturkatastrophen – werden nach dieser Lehre sämtliche bibeltreue Christen durch göttliche Intervention in Sicherheit gebracht. Um die Ungläubigen – Kinder, Frauen, Männer jeden Alters – ist es nicht weiter schade; sie hatten schließlich ihre Chance (sich für den ‘einzig richtigen’ Glauben zu entscheiden). Etwaige Ähnlichkeiten mit dem SciFi-Film “Knowing – Die Zukunft endet jetzt” sind sicher nicht beabsichtigt.
Die Verantwortung des Menschen und sein Versagen sind zentrale Komponenten. Jede Phase wird als eine neue Prüfung für die Menschheit gesehen, die sie nicht besteht. Darauf folgt zwangsläufig ein Gericht Gottes, durch das die Tragik des Versagens deutlich wird.
"Gott bietet sein Heil an. Wir scheitern. Gottes Gericht folgt. Danach bietet Gott sein Heil wieder anders an …"
Der Dispensationalismus erklärt, es werde keine weiteren Offenbarungen Gottes mehr geben. Seit die Kirche Christi etabliert und die Bibel geschrieben ist, werde ‘zusätzliche Kommunikation’ nicht länger benötigt. Allein die Bibel ist Gottes Kommunikationsmittel. Für Dispensationalisten sind die Wunder der Bibel geschehen.
Hoffnung ist im Dispensationalismus vor allem auf die zukünftigen Zeitalter (Millennium und neue Erde) ausgerichtet – nicht aber für die Gegenwart anwendbar, denn die Menschheit wird auch in der gegenwärtigen Dispensation versagen.
  Zum Vergleich hier die Gesamtübersicht:


Die vier hauptsächlichen Sichtweisen des Millenniums

Kritik

Auch Koch sieht die Notwendigkeit, sich kritisch mit dem Dispensationalismus zu beschäftigen, der auch hierzulande an Zulauf gewinnt. Es bestehe die Gefahr, dass die dispensationalistische Geisteshaltung des Scheiterns, Bestrafens und Verwerfens “das Anliegen Gottes, unserer Welt sein Heil zu offenbaren, eher blockiert als fördert“.
Die pessimistische Erwartung einer ständig versagenden Menschheit bildet kaum einen fruchtbaren Boden für das christliche Anliegen, in die Verantwortungsräume der Gesellschaft einzutreten machen und notwendige Reformen mitgestalten.
Zudem seien die prophetischen Äußerungen der Bibel bezüglich der Endzeit schwer in ein System zu fassen und würden regelmäßig falsch interpretiert.
“…wenn die frohe Botschaft keine Antworten auf die dringenden Probleme in unserer Gesellschaft zu geben hat, sondern den Exit durch Entrückung als Hoffnung verbreitet, dann ist sie keine frohe Botschaft.”

Auf politische Auswirkungen und Verstrickungen des Dispensationalistischen Prämillennialismus gehe ich im Beitrag “Christlicher Zionismus” ein.


Quelle: Wikipedia (Grafiken, Textelemente)

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